Europa

Sardinien: Von Hirten, Türmen und Königen

„Das ist das wahre Sardinien!“ Eine Ansage, die wir öfter hören. Konkret gemeint sind die Bergwelt der Insel, die Dörfer und Städtchen, deren Bewohner noch alte Traditionen und Handwerk pflegen, Hirten, die ihre Schaf- und Ziegenherden weiden lassen und köstliche Produkte hervorzaubern. Das „wahre, authentische Sardinien“ im Gegensatz zu den Badeorten an den Küsten. Aber auch diese sind ganz und gar nicht zu verachten und haben einige Originale zu bieten.

Von Olbia sind es etwa 150 Kilometer in das zentrale Bergland der Region Barbagia (Provinz Nuoro). Üppig grüne Landschaften und bunt-blühende Wiesen, Olivenhaine, Stein- und Korkeichen sowie wilde Felsenformationen, Höhlen und Quellen begleiten dort unseren Weg ins Valle di Lanaitho. Das Tal gilt als trockenstes Gebiet der Insel. Im Frühling ist davon noch nichts zu erkennen, ab Mai verfärben sich die Wiesen aber vollkommen. Ein Teil ist Naturschutzgebiet, nur wenige Bauern sind hier angesiedelt.

Die Wildnis birgt Tierarten wie Füchse, Marder, Mufflons, Adler und Lämmergeier. Ideal ist das Gebiet, nicht zuletzt aufgrund der Hochebene Supramonte mit dem Monte Corrasi (1.463 Meter) als höchstem Berg der Region, zum Wandern, Bergsteigen, Klettern, Biken, Paragliden, Kajakfahren am Lago del Cerdrino usw. Mit dem Jeep geht es einige Meter bergauf.

Die holprige Straße führt zu einer Hütte, zwischen Bäumen und Sträuchern und mit Blick auf die Berge, wo uns der Hirte Salvatore ein sardisches Mittagessen vorbereitet hat. Vor drei Jahren übernahm er die Schafherde seines Vaters; für angemeldete Gruppen gibt es Deftiges: Schinken, Wurst und Speck, Pecorino und Ricotta, rosig gebratenes Kalbfleisch, knuspriges Spanferkel, dazu knusprig-dünnes Fladenbrot (Pane Carasau), Tomaten (Gemüse wird in der Gegend nur sehr wenig angebaut), Honig, süffigen Rotwein und Mirto, Likör von der Myrte-Frucht, und Grappa. Das „Hirtensorbet“ als Dessert ist ein Salatblatt, das mit Honig beträufelt zusammengerollt und gegessen wird. Wirkt wie Zähneputzen, heißt es.

Das herrlich einfache Mahl und der ebenso beeindruckende wie beschauliche Ausblick auf das Gebirge und die wild-romantische Landschaft verleiten dazu, über ein Leben als Hirtin in den sardischen Bergen nachzudenken.

STEINERNE TÜRME

Ganz in der Nähe, im Villaggio Nuragico Sa Sedda e Carros, ist noch eine andere Kultur zu finden: die der Nuraghen. Die steinernen Türme der ehemaligen Ansiedlungen geben einem Volk, das in der Bronzezeit die Insel besiedelte, den Namen. Etwa 7.000 Türme (also Nuraghen) hat man bisher gefunden bzw. ausgegraben, ca. 220.000 Personen könnte das geheimnisvolle Volk ausgemacht haben, das etwa 700 bis 500. v. Chr. von der Insel verschwunden ist. Rolf aus Zürich, seit 18 Jahren in Sardinien wohnhaft, ist nicht nur von der Insel begeistert, sondern auch von den Nuraghen.

„Keiner weiß, warum sie die Insel verlassen haben“, sagt er.

Verschiedene Rundbauten als Wohnungen, ein sakraler Rundbau in der Mitte mit Quelle und sogar unterirdische Leitungen, die die Leute mit Wasser versorgten, kleine Bronzestatuen, die sich heute in Museen befinden, wurden in der etwa 3.000 Jahre alten Anlage, die vielleicht von 300 Leuten bewohnt wurde, ausgemacht. „Ich glaube, ich habe jedes Buch über sie gelesen. Aber im Grunde fehlen Studien, es gibt keine Aufzeichnungen, und somit bleibt viel Freiheit an Interpretationen, was passiert sein könnte”, erzählt Rolf.

AUF DAS WASSER

Leute und Leben an der Küste sind „internationaler”, lassen wir uns sagen. Zurück in Olbia führt unsere Bootstour auf die Insel Tavolara, geprägt vom 565 Meter hohen Namensgeber „Tafelberg“, die Teil des Marineschutzgebietes Tavolara Capo Coda Cavallo ist und auch noch die Inseln Molara und Molarotto umfasst. Insgesamt etwa 15.000 Hektar des Gebietes stehen unter Schutz, jedoch mit unterschiedlich strengen Zonen (A – C). Zum Teil darf gebadet und getaucht werden, zum Teil sind Gebiete völlig gesperrt. Manche Tierarten finden nur hier ihren Lebensraum, dazu gehören Seeschwalben, Korallenmöwen, Sturmtaucher und Kormorane, zahlreiche Fischarten, und auch Delfine lassen sich hier blicken, solange es ruhig ist. Je näher das Boot Richtung Tavolara schaukelt, umso mehr lockert der Wolkenhimmel auf und lässt das Meereswasser leuchten: in allen Blau- und Grün-Schattierungen, hellblau, nachtblau, petrol, türkis, mint, jadefarben. Genauso wie man es von den Prospekten über Sardinien kennt. Einschließlich Sand- und Kieselstränden und glasklaren Wassers.

Tavolara, im Sommer dicht von Touristen bevölkert, ist zu dieser Jahreszeit noch fast leer. Eine wilde Ziegenherde zieht über den Sandstrand. Bewohnt wird die Insel dennoch fast ganzjährig von Familie Bertoleoni, die – ungelogen – seit Anfang des 19. Jahrhunderts und mehreren Generationen den König der Insel stellt. „Das kann man sogar auf Wikipedia nachlesen“, wie die Familie stolz versichert. Ganz bodenständig und unroyal kocht die Familie des kleinsten Königreichs der Welt im Restaurant für Gäste: frischesten Fisch und Meeresfrüchte, Gemüse, Salat, dazu Käse, Schinken usw. Gegessen wird diesmal mit Blick auf das Meer, den Strand, auf Inseln, die Berge, einzelne Boote, die sich der Insel nähern. Ein Glas Wein, einen Mirto – erste Bilder von einem möglichen Leben als sardische Fischerin und Prinzessin schleichen sich in die Gedanken…

HIGHLIGHTS

  • Hafenstadt Olbia: viertgrößte Stadt auf Sardinien; Hauptstraße Corso Umberto, Viale Aldo Moro, Hafenmole und Seitengassen zum Spazieren und Einkaufen. Sehenswert: Leuchtturm Isola Bianca im Golf von Olbia, das Rathaus, die Kirche San Paolo, Piazza Regina Margherita, jeden Samstag Markt in der Via Antonio Sangallo
  • Golfo Aranci: Hafenstadt zwischen Golf von Olbia und Golfo die Marinella; großer Strand direkt im Ort, in fünf Buchten unterteilt; idyllische Kieselsand-Buchten von Cala Moresca etwa drei Kilometer außerhalb des Ortes zu Fuß erreichbar
  • Porto Cervo: an der berühmten Costa Smeralda; im Sommer sehr lebhaft, geprägt von Nobelhotels, Yachthafen, Golfplatz, teuren Geschäften etc; Strände und glasklares Meerwasser
  • Arzachena: wilde Felsformationen des Granitgebirges, rund um den Ort Hünengräber von Li Lolghi, Coddu Vecchiu und Moru, Nuraghentürme von Albucciu und Sa Prisgiona sowie Megarontempeln von Malchittu
  • Karstquelle Su Gologone: liefert ca. 300 Liter Süßwasser pro Sekunde und mündet in den Fluss Cedrino
  • Grotte Sa Oche („Höhle der Stimmen“), und Grotte Su Bentu („Höhle des Windes“): messen etwa 7.000 Meter und gehören zu den größten Italiens

Abstecher an die Costa Smeralda

  • HOTELS & RESTAURANTS
    Hotel Su Gologone in Oliena: außergewöhnliche 4-Sterne-Anlage mitten in Berglandschaft mit Kunst und Kultur, ca. 70 Zimmer und Suiten, mehrere Bars und Terrassen, Tennis, Außenpool, Wellness; sardische Gerichte im Restaurant auf hohem Niveau, www.sugologone.it
  • Geovillage Sport- und Wellnesscenter in Olbia: modernes Hotel in der Nähe von Olbia für Sportinteressierte; 250 Zimmer, Tennisplätze, Fitnesscenter, Schwimmzentrum, Wellnesscenter, www.geovillage.it
  • Parco degli Ulivi Hotel: 4 Sterne-Hotel in der Nähe von Arzachena in den Bergen, gediegene Anlage in parkähnlichem Gelände, Olivenhain; Weinkeller, Restaurant auf hohem Niveau, www.domicillio.com
  • Restaurant Da Tonino Re di Tavolara: Restaurant direkt am Strand auf der Insel Tavolara, www.ristorantereditavolara.com
  • Restaurant Gente di Mare in Golfo Aranci: perfekten Fisch und Meeresfrüchte, Tel. +43 348 322 3101
  • Informationen zum Naturschutzgebiet: Tavolara Punta Coda Cavallo (geführte Touren): www.amptavolara.it

Die Reise erfolgte 2016 auf Einladung von Flughafen Olbia und Flyniki. Flüge sind derzeit möglich z. B. mit Eurowings. Artikel erschienen in “reisetipps“.

Pflanzenpracht auf Sardinien

Extra-TIPP

Sardinien gilt als exklusives Ferienziel. Tatsächlich ist die Insel bisher von Massentourismus verschont geblieben. Unterkünfte gibt es in allen Kategorien. Mit Mietauto oder Boot lassen sich schöne Orte und Buchten erkunden. Der Agrotourismus bietet immer wieder auch günstige Speisemöglichkeiten am Land.

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